Sondervotum der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zum Gesamtbericht der Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität"


Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben ein Sondervotum zum Gesamtbericht der Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" eingebracht. Sie legen dar, welche Ergebnisse der Kommission gemeinsam getragen werden, welche Unterschiede die beiden Fraktionen in ihrer Positionierung zum Mehrheitsbericht erkennen und wie die Debatte weitergeführt werden kann. Hier können Sie das Sondervotum herunterladen:


  • Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen: Sondervotum zum Gesamtbericht der Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität". Download als PDF-Datei


Sondervotum

1. Ausgangslage

Wir befinden uns in einer Zeit von multiplen Krisen: die globale Finanzkrise dauert an, Umwelt- und Ressourcenverbrauch nehmen ungebremst zu, die Klimakrise spitzt sich zu, die Ungleichverteilung zwischen Arm und Reich verschärft sich. Eine Krisenbekämpfung allein durch mehr Wirtschaftswachstum ist keine Option, denn dieses geht immer mit einem steigenden Umwelt- und Ressourcenverbrauch einher und löst die nationalen und globalen Verteilungskonflikte nur unzureichend.


Die Krisenvielfalt und die damit verbundene Wachstumsfrage war Anlass für die Bundestagsfraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD zu Beginn der 17. Wahlperiode die Einsetzung einer „Wachstumsenquete“ zu fordern. Denn dies ist die zentrale Herausforderung des 21. Jahrhunderts: Den Umgang mit der Natur auf eine Weise zu regeln, die ein gutes Leben für alle Menschen auf der Erde ermöglicht ohne die Grundlagen unserer Zivilisation zu zerstören. Darunter fällt auch die soziale Sicherheit zu gewährleisten und die politischen Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass der Zusammenhalt der Gesellschaft gestärkt, eine ressourceneffiziente Wirtschaftsweise gefördert und die Stabilität unserer Demokratie gestärkt wird. Ziel war es aufzuzeigen, wie eine sozial-ökologische Transformation gelingen kann. Dazu gehört ein ressourcenarmes Wirtschaften und Lösungsansätze, wie wir alle an der Gesellschaft und am Wohlstand teilhaben können. Wichtig war uns auch, das Bruttoinlandsprodukt als Indikator für Wohlstand und Lebensqualität kritisch zu hinterfragen. Wohlstandsmessung muss auch ökologische und soziale Dimensionen abbilden. Damit können die Auswirkungen von politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen in allen Dimensionen transparent gemacht werden.


Bündnis 90/Die Grünen und die SPD haben im Herbst 2010 gemeinsam die Initiative ergriffen und konnten schließlich auch die Fraktionen [1] der CDU/CSU und FDP zu einem gemeinsamen Einsetzungsantrag für eine „Enquete Kommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft“ [2] bewegen. Die Einsetzung der Kommission war eine große Chance. Fraktionsübergreifend mit der Unterstützung von Sachverständigen aus Wissenschaft, Unternehmen und Zivilgesellschaft sollten zukunftsweisende Fragen konsensorientiert bearbeitet und dem Deutschen Bundestag Empfehlungen gegeben werden.


2. Gemeinsam getragene Ergebnisse

In der Analyse der zu bearbeitenden Themen wie Entkopplung von Wirtschaften und Ressourcenverbrauch, Regulierung der Finanzmärkte, zukünftige Lebensstile und neue Formen der Arbeit konnten wesentliche Erkenntnisse gemeinsam fraktionsübergreifend erarbeitet werden:

  • Wachstum ist kein Ziel an sich, sondern nur Folge von politischem und wirtschaftlichem Handeln. Im Vordergrund stehen Lebensqualität und ökologische Nachhaltigkeit.
  • Wir brauchen eine neue Wohlstandsmessung, die das BIP relativiert und die sozialen und ökologischen Dimensionen gleichberechtigt berücksichtigt.
  • Um den sozialen und ökologischen Indikatoren Geltung im politischen Raum zu verschaffen, ist eine Reform des Berichtswesens erforderlich.
  • Die globalen und regionalen Umweltgrenzen müssen eingehalten werden, allen voran beim Stickstoffeintrag, den Treibhausgasemissionen und bei der Biodiversität, denn hier sind die Kapazitätsgrenzen bereits überschritten
  • Eine absolute Reduktion des globalen Ressourcenverbrauchs ist notwendig, eine relative Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch ist nicht ausreichend.
  • Technische Effizienzmaßnahmen alleine reichen aufgrund der vielfältigen Rückschlagseffekte (Rebound) nicht aus, um den Umweltverbrauch zu senken.
  • Effizienzmaßnahmen müssen durch Konsistenz- und Suffizienzmaßnahmen ergänzt werden. Dafür braucht es politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rahmenbedingungen, innerhalb deren technologische Effizienzverbesserungen erst wirksam werden können.
  • Lebensstile und Konsumverhalten werden nicht nur durch eigene Präferenzen und soziale Strukturen geprägt, sondern auch durch staatliche Rahmenbedingungen und das Produktangebot.
  • Vor allem im Bereich Ernährung, Mobilität und Wohnen sind durch den Staat geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen: es müssen Hindernisse abgebaut und falsche Anreize beseitigt werden, um nachhaltigeres Verhalten zu ermöglichen.
  • Genossenschaften sind wichtige Unternehmensformen, die gestärkt und gefördert werden sollten.
  • Die aktuellen Finanzreformen greifen zu kurz, eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte ist notwendig. Dies umfasst unter anderem strengere Eigenkapitalanforderungen, eine wirkungsvollere Regulierung des Schattenbankensystems, eine Reform der Vergütungssysteme und eine kompetente Europäische Bankenaufsicht.
  • Finanzpolitik ist nur zukunftsfähig, wenn über den Konjunkturzyklus ausgeglichene Haushalte, ein niedriger Schuldenstand sowie die Finanzierung erforderlicher öffentlicher Ausgaben dauerhaft erreicht werden.


3. Unterschiede zum Mehrheitsbericht: die rot-grünen Positionen

3.1 Die Wachstumsfrage

Für die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD stand in dieser Enquete nicht die Frage nach „Wachstum oder Schrumpfung“ im Vordergrund, sondern die Debatte um die Art unseres Wirtschaftens und Lebens innerhalb der Grenzen unseres Planeten. In der Kommission und parallel in der gesellschaftlichen Debatte hat sich gezeigt, dass das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes nachwievor als alleiniger wesentlicher Maßstab und Indikator gewertet wird. Wachstum wird durch diese „Überhöhung“ zu einer Art Fetisch. Diesem Verständnis wird  vielfach mit einem Anti-Fetisch, nämlich dem Ruf nach wirtschaftlicher Schrumpfung, begegnet. Doch das ist weder effektiv (da symbolisch) noch konstruktiv. Es fördert lediglich den ideologischen Streit. Denn das BIP ist nur ein Ergebnis der Wertorientierung und Zielentscheidung der Gesellschaft. Entscheidet sich eine Gesellschaft zum Beispiel für eine Verlagerung von bezahlten Tätigkeiten zu unbezahlten Tätigkeiten (Sorgearbeit, Ehrenamt) ist gar nicht absehbar, wie sich das BIP entwickelt. Was wir benötigen, sind praktische Antworten, wie wir mit weniger Ressourcen und neuen Formen der Arbeit die Teilhabe an Wohlstand und Lebensqualität für alle ermöglichen – national und global.

Die Ergebnisse der Enquete nach zwei Jahren Beratungszeit werden deshalb von den Bundestagsfraktionen Bündnis 90/Die Grünen und SPD in vielen Bereichen als nicht ausreichend angesehen. Dies hat zu ergänzenden und alternativen Sondervoten in den einzelnen Berichtsteilen geführt, vielfach im Konsens mit den Oppositionsfraktionen, auf die wir uns im Folgenden auch beziehen. Denn die Handlungsempfehlungen des Mehrheitsberichtes verharren vielfach in den alten Lösungsmustern. Wachstum wird immer noch als Lösungsweg für Verteilungsfragen, aber auch für ökologische Herausforderungen gesehen. Dass uneingeschränktes Wachstum aber Teil des Problems ist, wurde nur unzureichend erörtert. Die eigentliche Herausforderung an die Gesamtenquete wurde nicht bearbeitet: wie organisiere ich eine Wirtschaft und Gesellschaft ohne das Primat eines exponentiellen, ressourcenverbrauchenden ökonomischen Wachstums.


3.2. Notwendigkeit einer Sozial-Ökologischen Transformation

Der Enquetebericht zeigt in aller Deutlichkeit die vielfache Überschreitung von ökologischen und auch von sozialen Grenzen auf. Ein Paradigmenwechsel ist deshalb erforderlich - unser gegenwärtiges Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell ist nicht zukunftsfähig. Die Koalition geht von einem graduellen Wandel innerhalb der bestehenden Wirtschaftsordnung aus. Die Opposition spricht sich weitergehend für eine sozial-ökologische Transformation [3] von Marktwirtschaft und Gesellschaft im Sinne eines „Pfadwechsels für einen neuen Wohlstand“ aus.

Bei allem politischen Handeln, aber vor allem bei der Umsetzung einer Transformation gilt: Politik, die Beteiligung ermöglichen möchte, muss immer auch Sozialpolitik sein. Nur wer Zugriff auf Bildung im umfassenden Sinne hat, kann seine Umwelt selbstbestimmt gestalten. Und nur wer ein existenzsicherndes Einkommen hat und frei von Diskriminierung lebt, hat Zeit und Selbstvertrauen, um auf sein Umfeld Einfluss zu nehmen. Die Bundestagsfraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD betrachten deshalb Sozial- und Umweltpolitik als zusammengehörend.


3.3. Unterschiede in den Projektgruppen

In den einzelnen Projektgruppen und deren Berichten kristallisierten sich für die Opposition folgende Positionen heraus, die im Gegensatz zum Mehrheitsbericht stehen:


PG 1 „Stellenwert von Wachstum in Wirtschaft und Gesellschaft“ [4]:
  • Wachstum per se führt nicht zu mehr Gleichheit. Ein Ende der sozialen Spaltung der Gesellschaft ist nur mit politischen Maßnahmen erreichbar - und damit primäre Gestaltungsaufgabe von Politik. Die Opposition fordert deshalb eine gerechtere Verteilungs- und Steuerpolitik.
  • Der demografische Wandel ist kein Sachzwang, der sozialpolitische Errungenschaften in Frage stellt und Ausgabekürzungen notwendig macht. Die Alterung der Gesellschaft und der Rückgang der Bevölkerungszahl ist keine Bedrohung sondern weit eher eine Chance, wenn man Lösungswege aus den Wachstumszwängen aufzeigt. Deshalb benötigen wir unter anderem eine breite Finanzierungsbasis für die Sozialversicherungen, wie die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD dies mit der Bürgerversicherung vorschlagen.
  • Eine aktive Rolle des Staates ist notwendig, um die Stärke der deutschen Unternehmen im Bereich der Nachhaltigkeit weiter zu fördern und auszubauen. Nur ein Markt mit ökologischen und sozialen „Leitplanken“ gibt Orientierung.
  • Wir brauchen eine Stärkung der solidarischen Ökonomie. Hemmnisse müssen durch Politik und Verwaltung beseitigt werden. Die solidarische Ökonomie vereint den Gedanken der kooperativen Wertschöpfung und die Orientierung am Gemeinwohl statt am Profit, womit sie ökologische, soziale und finanzielle Tragfähigkeit miteinander in Einklang bringt.
  • Wirtschaftswachstum führt nicht automatisch zu mehr guter Arbeit. Wir brauchen dringend Reformen auf dem Arbeitsmarkt, die unter anderem mit einem Mindestlohn dafür sorgen, dass prekäre Beschäftigungsverhältnisse bald der Vergangenheit angehören und es mehr Geschlechtergerechtigkeit am Arbeitsmarkt gibt.
  • Wir brauchen in Europa eine stärkere politische und wirtschaftliche Integration. Zu glauben, alle Länder Europas würden in gleichem Maße wie Deutschland durch Exportüberschüsse wachsen können, ist eine Fehleinschätzung.


PG 2 „Entwicklung eines ganzheitlichen Wohlstands- bzw. Fortschrittsindikators“ [5]:

In der Indikatorenfrage haben die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD verschiedene Auffassungen. Daher im folgenden die Darstellung der beiden unterschiedlichen Modelle.


SPD: Mehrheitlich beschlossener Indikatorensatz

Dem materiellen Wohlstand wurden die Aspekte Soziales und Teilhabe sowie Ökologie an die Seite gestellt, die insgesamt aus zehn Leitindikatoren bestehen. Materieller Wohlstand wird durch BIP, Einkommensverteilung und Staatsschulden gemessen; Der Bereich Soziales und Teilhabe wird durch die Messung von Beschäftigung, Bildung, Gesundheit und Freiheit dargestellt; Die Ökologische Dimension wird anhand des nationalen Treibhausgasausstoßes, des Stickstoffüberschusses und der Artenvielfalt beschrieben. Diese Leitindikatoren werden mit sogenannte ergänzenden Warnlampen im Hintergrund unterfüttert, welche nur sichtbar werden, wenn sich gravierende Änderungen ergeben.


Die Mehrheit der Enquete-Kommission empfiehlt dem Deutschen Bundestag damit einhergehende Handlungsempfehlungen. Die wichtigsten sind:

  • die zehn Leitindikatoren in geeigneter Form gesetzlich zu verankern
  • die Indikatoren regelmäßig (beispielsweise jährlich) berechnen zu lassen
  • die Bundesregierung soll künftig regelmäßig zu den Indikatoren ressortübergreifend Stellung nehmen. Wir hätten gerne eine jährliche Stellungnahme durchgesetzt, doch dies war gegen die schwarz-gelbe Mehrheit nicht durchzusetzen.
  • das unübersichtliche Berichts- und Sachverständigenwesen der Bundesregierung wollten wir durchforsten und auf Effektivität hin überprüfen. Dabei sollte ein oder mehrere Gremien unabhängig die Ergebnisse der Indikatoren bewerten, kommentieren und ggf. erweitern. Doch dies konnten wir nicht alles durchsetzen und so kam es zu einer abgeschwächten Eventualforderung ähnlichen Inhalts.
  • eine Reform der amtlichen Statistik zur exakteren und aktuelleren Erfassung der Einkommens- und Vermögensverteilung und der Bildungsberichterstattung, der Erstellung eines Indikators für die nationale und EU-weite Biodiversität, sowie die Verfügbarkeit von globalen Stickstoffbilanzen zu verbessern.


Darüber hinaus sollten die Indikatoren in wirksamer Weise der Öffentlichkeit vorgestellt und zur Kenntnis gegeben werden.

 

Position von Bündnis 90/Die Grünen: Grüner Wohlstandskompass

  • Der von der Mehrheit der Enquete (CSU/CSU, FDP, SPD) vorgeschlagene „W3 - Indikatorensatz“ ist sowohl für die politische Kommunikation als auch zur politischen Steuerung ungeeignet. Das vorgeschlagene Indikatorenset ist weder mit Zielwerten unterlegt, noch in einen institutionellen und strategischen Rahmen eingebettet.
  • Die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen schlägt zur Kommunikation alternativ den „Grünen Wohlstandskompass“ vor, der vier Dimensionen (ökologische, sozio-ökonomische, gesellschaftliche und ökonomische) abdeckt.
  • Die vier Dimensionen sind jeweils mit einem Indikator unterlegt: Ökologischer Fußabdruck im Verhältnis zur Biokapazität (Ökologie), 80/20 Einkommensverteilung (sozio-ökonomische Dimension), Lebenszufriedenheit (gesellschaftliche Dimension) und BIP pro Kopf (ökonomische Dimension).
  • Der Wohlstandskompass ist einfach, klar kommunizierbar und ermöglicht es, auf einen Blick zu erkennen, wie es um Umwelt, Verteilungsgerechtigkeit und Lebensqualität steht. Durch eine subjektive Umfrage zur Lebensqualität bezieht er die Bevölkerung aktiv mit ein. Unsere Vision: dass nicht nur das BIP, sondern alle vier Indikatoren in den Medien regelmäßig berichtet und kommentiert werden.
  • Mit der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie bestehen schon mit Zielwerten hinterlegte Indikatoren, diese sollten für die politische Steuerung verstärkt genutzt, regelmäßig überprüft und fortentwickelt werden.

 

PG 3 „Wachstum, Ressourcenverbrauch und technischer Fortschritt – Möglichkeiten und Grenzen der Entkopplung“ [6]:
  • Die ökologischen Grenzen definieren die Grenzen unseres Handelns und Lebens; sie sind nicht verschiebbar und politisch nicht verhandelbar. Unsere Gesellschaft kann nur (über)leben, wenn sie die natürlichen Tragfähigkeitsgrenzen der Erde einhält.
  • Zur Vermeidung von Reboundeffekten braucht es politische Entscheidungen mit systemischer Wirkung, - also vor allem die die Festlegung von Obergrenzen für den Verbrauch von Ressourcen oder den Ausstoß von Schadstoffen, die, Streichung von ökologisch schädlichen Subventionen und die Besteuerung des Ressourcenverbrauchs einschließen.
  • Ein Ende des Ressourcenbooms ist nicht in Sicht. Die nachholende Entwicklung des globalen Südens wird zu einer Verschärfung des Konfliktes um schwindende Ressourcen führen. Wollen wir jedoch das 2 Grad Ziel einhalten, müssen aber vor allem die fossilen Rohstoffe im Boden belassen werden, die Energieversorgung über erneuerbare Energien erreicht und die Ressourceneffizienz erheblich verbessert werden.
  • Internationale Abkommen - vor allem im Bereich der Klimapolitik - sind nach wie vor notwendig und wichtig. Sie sind aber nicht die alleinige Voraussetzung zur Lösung von globalen Allmende Problemen. Eine effektive Politik der Entkopplung ist eine Mehrebenenpolitik auf internationaler, europäischer, nationaler und regionaler Ebene. [7]
  • Um eine sozial-ökologische Transformation umzusetzen, gibt es schon heute viele konkrete Handlungsmaßnahmen auf nationaler und internationaler Ebene. Sie reichen von der Einführung eines Klimaschutzgesetzes in Deutschland, über ein Frackingmoratorium hin zur Einbeziehung einer Entkopplungs- und Reduktionsstrategie in die Außenpolitik der Europäischen Union.
  • Deutschland und die Europäische Union müssen eine aktive Vorreiterrolle einnehmen. Diese bezieht sich nicht nur auf eine kluge Diplomatie (zum Beispiel durch eine Klimapolitik der unterschiedlichen Geschwindigkeiten und die Bildung internationaler Klimaallianzen), sondern auch durch eine programmatische Vorreiterrolle. Letztere bedeutet, dass Deutschland den Wandel im eigenen Land vorantreibt und möglich macht.

 

PG 4: „Nachhaltig gestaltende Ordnungspolitik“ [8]
  • Die Finanzmärkte müssen wieder der Realwirtschaft dienen. Drei Elemente sind entscheidend: 1. Eine deutliche Anhebung des Eigenkapitals (leverage ratio), 2. die Einführung eines Trennbankensystems und 3. darauf aufbauend ein Restrukturierungsregime, dass eine Abwicklung von Banken zulässt.
  • Weitere Maßnahmen zur Eindämmung des Finanzmarktes und Vermeidung von Vermögenspreisblasen sind die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, die Unterbindung von Spekulationen im Bereich der Rohstoff- und Nahrungsmittel und die Überprüfung und Abschaffung komplexer Finanzprodukte mit nicht eindeutig definiertem Bezug zum Realgeschäft bzw. fehlender Eigenkapitalunterlegung (Vermeidung von „to-complex-to-control“).
  • Eine zukunftsfähige Finanzpolitik ist sozial gerecht und stellt ausreichend Finanzierungsmittel für Zukunftsinvestitionen bereit. Dazu bedarf es einer Stärkung der Einnahmen, einer Umstrukturierung von Ausgaben und einem Abbau von umweltschädlichen Subventionen.
  • Ordnungspolitik für Nachhaltigkeit hat die Aufgabe den Rahmen zu setzen,  innerhalb dessen ein Marktgeschehen stattfindet, das sozial gerecht und ökologisch verträglich ist. Umwelt-und sozialschädliches Wirtschaften beeinträchtigt die Gesellschaft und am Ende auch die Volkswirtschaft.
  • Der Emissionshandel [9] ist unverzichtbar, aber nicht das einzige effiziente Instrument zur Minderung der Treibhausgasemissionen. Gerade angesichts der existenziellen Bedrohung des Klimawandels ist eine Pluralität des Instrumentariums im Sinne eines Multi-Impuls Ansatzes notwendig.


PG 5: „Arbeitswelt, Konsumverhalten und Lebensstile“ [10]
  • Wir benötigen eine ideologiefreie Diskussion um eine „Politik der Ermöglichung“. Diese unterstützt den Wandel der Lebensstile und schafft Freiräume und Experimentierräume, um Ideen entwickeln zu können und soziale und kulturelle Innovationen umzusetzen.
  • Die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD regen eine Debatte um neue Lebensarbeitszeitmodelle wie der kleinen Vollzeit an. Außerdem verfolgen wir weiter das Ziel der Guten Arbeit und fordern einen geschlechtergerechten Arbeitsmarkt und die Einführung eines Mindestlohnes.
  • Wie die Biodiversität zu schützen ist, so ist auch eine „Soziodiversität“, also die Vielfalt sozialer Lebensformen, ein Wert an sich und stabilisiert das Gesellschaftssystem. Um nachhaltige Lebensstile zu ermöglichen und Freiräume zu schaffen, regt die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen eine Debatte um neue Formen der sozialen Grundsicherung an. Dazu gehört auch eine Fortsetzung der Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen.
  • Bildung ist Voraussetzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Bildung ist nicht ausschließlich die Vermittlung von Fähigkeiten für den Arbeitsmarkt und zur Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands.
  • Arbeit ist mehr als Erwerbsarbeit. Arbeit umfasst auch Sorgearbeit, Eigenarbeit und ehrenamtliche Tätigkeiten. Um das Ganze der Arbeit in den Blick zu nehmen, brauchen wir eine geschlechtergerechte Aufteilung von Sorge- und Erwerbsarbeit und verstärkt Arbeitszeitmodelle, die mehr Zeitsouveränität schaffen.

 

3.4. Was in der Enquete nicht bearbeitet wurde

Die Enquete Kommission hatte einen breiten Auftrag, der angesichts der Kürze der Enquete-Laufzeit von etwas über zwei Jahren eine große Herausforderung darstellte. Eine der Kernfragen des Einsetzungsauftrages blieb unbeantwortet: die Frage nach Wachstumszwängen und Wachstumstreibern. Wir befinden uns immer noch in einem ungelösten Wachstumsdilemma. Sinkt das Wirtschaftswachstum sinken die Verteilungsspielräume, mehr Menschen sind von Arbeitslosigkeit bedroht, den Sozialversicherungen brechen Einnahmen weg. Wächst die Wirtschaft, steigt damit auch der Ressourcenverbrauch und die ökologische Krise spitzt sich zu. Eine Lösung dieses Dilemmas wird ansatzweise beschrieben, verdient jedoch eine deutlich weitergehende Untersuchung. Dies ist ein Auftrag nicht nur an die Wirtschaftswissenschaften, sondern an alle Disziplinen: ein Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell zu entwickeln, dass ohne Aufzehren unserer natürlichen Grundlagen ein selbstbestimmtes Leben für alle Menschen auf der Erde ermöglicht.


Die Themen globale Gerechtigkeit sowie Geschlechtergerechtigkeit wurden nur am Rande beleuchtet. Alternative Entwicklungsansätze aus Lateinamerika wie „Buen Vivir – Recht auf gutes Leben“ oder auch das in Bhutan erhobene Bruttosozialglück wurden nicht stärker in den Blick genommen. Auch die Frage von gerechtem Zugang zu Ressourcen für alle Menschen wurde ignoriert. Eine kritische inhaltliche Auseinandersetzung mit feministischen Theorieansätzen und ein Gendermainstreaming aller Bereiche des Berichtes hat nicht stattgefunden. Ein weiterer Schwachpunkt in der Arbeit der Enquete Kommission war die nur unzureichende Einbeziehung  von zivilgesellschaftlichen Akteuren. Anhörungen wurden fast ausschließlich mit Vertreterinnen und Vertretern aus der Wissenschaft oder aus großen Verbänden durchgeführt. Der Diskurs wurde darüber hinaus sehr einseitig aus einer wirtschaftswissenschaftlichen Sicht geführt und vernachlässigte interdisziplinäre Zugänge. Gerade auf zivilgesellschaftlicher Ebene gibt es aber eine Vielzahl von Bewegungen und konkreten Projekten, die eine Abhängigkeit vom Wachstum überwinden.


4. Weiterführung der Debatte aus der Enquete

Die aktuelle Krise in einigen europäischen Ländern zeigt eindrucksvoll, dass Zeiten des Nichtwachstums heute eine gesellschaftliche Katastrophe darstellen. Das ist einer der systemimmanenten Gründe, warum wir die Abhängigkeit vom Wirtschaftswachstum analysieren und Alternativen aufzeigen müssen. Den eindrücklichsten Grund liefert jedoch  der Zustand unseres Planeten Erde, denn eine intakte Umwelt mag für viele nicht Alles bedeuten – aber ohne sie ist doch alles Nichts. Denn längst geht es nicht mehr nur darum, der Natur ihren Raum zu lassen und die Schönheit der Erde zu bewahren. Die Auswirkungen des Menschen auf die Systeme unseres Planeten hat längst eine Dimension angenommen (Stichwort „Anthropozän“), in der die Lebensgrundlagen unserer Zivilisation in ernste Gefahr geraten.

 

Die Bundestagsfraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD haben mit der Enquete Kommission das Thema „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ erstmals im Parlament verankert. Die Arbeit der Enquete Kommission ist damit jedoch nicht abgeschlossen. In einem ersten Schritt werden sich die Fraktionen dafür einsetzen, dass die erzielten Ergebnisse und Vorschläge der Enquete Kommission in der kommenden Legislaturperiode in konkrete Gesetzgebung umgesetzt werden. Weiterhin besteht in vielen Bereichen erheblicher Forschungsbedarf, der in den einzelnen Berichtsteilen herausgearbeitet wurde. [11] Die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD werden sich für die Übernahme der Fragestellungen in die Forschungsprogramme des Bundes einsetzen. Auch da noch viele Fragen hinsichtlich der Zielsetzung der Enquete nicht abschließend behandelt werden konnten und ein wesentliches Ziel  – Lösungen aufzuzeigen für ein Leben und Wirtschaften innerhalb der ökologischen Grenzen – noch nicht erreicht wurde, müssen sie  im Parlament in geeigneter Form dauerhaft weiterdiskutiert und weiterentwickelt werden.

 

Neben der parlamentarischen Verantwortung wollen die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD die zivilgesellschaftliche, außerparlamentarische, Debatte intensiver fördern und begleiten. Denn schon jetzt gibt es viele Bürgerinnen und Bürger, die durch ihren Lebensstil vielversprechende Ansätze eines Wohlstands jenseits des Wachstumszwangs aufzeigen. Sozial-ökologischer Wandel ist eine kulturelle Leistung, die Politik ermöglichen muss. Deshalb setzen sich beide Fraktionen für einen weiterführenden breiten Dialog mit Akteuren der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft und der Wirtschaft ein – auch auf europäischer und globaler Ebene. Denn das Gelingen der sozial-ökologischen Transformation erfordert eine erheblich stärkere Verschränkung von Politik und Gesellschaft.



[1] Aufgrund der generellen Weigerung der CDU/CSU kam es zu keinem gemeinsamen Antrag mit der Fraktion DIE LINKE.

 

[2] Siehe Einsetzungsantrag der Enquete Kommission, Deutscher Bundestag Drucksache 17/3853.

 

[3] Vgl. Sondervoten der Opposition zu „Sozial-Ökologischen Transformation“ im PG 3 Bericht Kapitel D 7.1.3. und zu  „Große Transformation – Karl Polanyi heute“ im Kapitel D 7.1.4.

 

[4] Vgl. Bericht der Opposition „Stellenwert von Wachstum in Wirtschaft und Gesellschaft“ in Projektgruppe 1, Kapitel B.

 

[5] Vgl. Sondervotum der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum PG 2 Bericht „Wohlstandskompass“, Kapitel C 3.

 

[6] Vgl. Sondervoten der Opposition vor allem zu „Sozial-Ökologischen Transformation“ im PG 3 Bericht Kapitel D 7.1.3.und zu „Handlungsempfehlungen“ mit über 50 Einzelmaßnahmen, Kapitel D 7.2.5.

 

[7] Vgl. Sondervotum der Opposition „Globale Probleme – globale Regulierung“ im PG 3 Bericht Kapitel D 7.1.2.

 

[8] Vgl. Sondervoten der Opposition in den einzelnen Berichtsteilen: im Finanzmarkt Bericht zu „Weitergehende antizyklische und makroprudenzielle Instrumente“ in Kapitel E 2.3.2, zu „Weitergehende Maßnahmen für mehr Transparenz und Kontrolle“ in Kapitel E 2.3.4 und zu „Weitergehende Maßnahmen zur Regulierung der Vergütungssysteme“ in Kapitel E 2.3.5; im Bereich Finanzpolitik Bericht zu „Wege einer zukünftigen Finanzpolitik – weitere Maßnahmen und Fazit“, Kapitel E 3.5 und Kapitel E 3.6., Oppositionsbericht zu Ordnungspolitik im Kapitel E.

 

[9] Vgl. Sondervotum der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Eine Reform des Emissionshandels ist unverzichtbar“, PG 3 Bericht Kapitel D 7.2.2 und Sondervotum der Opposition zu „Handlungsempfehlungen“, PG 3 Bericht Kapitel D 7.2.5.

 

[10] Zum Bildungsbereich vgl. Oppositionsbericht der PG 1, Kapitel B 4.2.2

 

[11] Vgl. vor allem Forschungsbedarf im Bericht der PG 5 bezüglich Arbeit, Konsum und Lebensstile und Nachhaltigkeit in Kapitel F 4.6, im Bericht der PG 3 in Kapitel  D 7.3. und ausführlich im Sondervotum der Opposition „Weitergehender Forschungsbedarf“ in Kapitel D 7.3.