Newsletter Juli 2013

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,


Deutschland nähert sich in großen Schritten einer Richtungsentscheidung: Bei der Bundestagswahl am 22. September ist es Zeit, die schwarz-gelbe Bremse zu lösen und die großen Herausforderungen unserer Zeit endlich anzupacken. Wir brauchen den Wandel zu einer modernen, sozial gerechten und ökologischen Gesellschaft!


Die Stagnation von Merkels Politik zeigt sich besonders deutlich im Bereich der Klimapolitik: Während die Treibhausgasemissionen in Deutschland 2012 erstmals seit vielen Jahren wieder gestiegen sind, lässt Bundeskanzlerin Merkel ihre Umwelt- und Wirtschaftsminister wie die Kesselflicker streiten – wodurch im Land nichts voran geht und in der EU die dringend notwendige Erhöhung des europäischen Klimaziels auf 30% unmöglich wird.  Kein Wunder, denn im gerade erschienenen Wahlprogramm von CDU und CSU bekommt die Kohlekraft einen Freifahrtschein – das ist eine verheerende Fehlentscheidung. Doch so weit wird es nicht kommen: In 80 Tagen beginnt der rot-grüne Wandel. Wir werden der Klimapolitik Wille und Seele zurückgeben!


In diesem Sinne wünsche ich eine interessante Lektüre zu meiner aktuellen Arbeit – und einen schönen, erholsamen Sommer!

 

Hermann Ott

1. Klimawandel: Gezinkter Würfel im Spiel der Extremwetterereignisse

Unsere Welt gerät in Turbulenzen. Im Mai und Juni haben gleich zwei Wetterextreme für Aufsehen gesorgt: Das massive Hochwasser in Deutschland und Osteuropa, sowie der ungewöhnlich starke Tornado in Oklahoma. Beide machen deutlich, wie hilflos der Mensch gegenüber den ungebändigten Naturgewalten ist. Diese Ereignisse stehen in einer ganzen Reihe bedrohlicher Geschehnisse: Erst vor einem halben Jahr hatte beispielsweise Hurrikan Sandy die Riesenmetropole New York lahm gelegt [1].


Die Debatte darüber, ob der Klimawandel für diese Extremwetterereignisse verantwortlich ist, kommt erneut in Fahrt – das ist richtig so. Denn auch wenn einzelne Wetterphänomene den großen Umbrüchen des Weltklimas nicht direkt zugerechnet werden können wird dennoch immer klarer dass der Klimawandel seine Finger im Spiel hat. Oft wird das Bild eines gezinkten Würfels benutzt: Bei einem einzelnen Wurf ist natürlich nicht bestimmbar, ob das Ergebnis durch die Manipulation herbeigeführt wurde. Doch wenn die Ergebnisse vieler Würfe einen eindeutigen Trend zeigen...


In Sachen Extremniederschläge ist die Lage durchaus komplex – die Klimaforschung steckt noch in der Entwicklung von entsprechenden Klimamodellen. Doch auch hier offenbart der empirische Blick auf die Wetterdaten bereits Anzeichen einer längerfristigen Entwicklung: Es gibt einen Trend zu häufigeren und intensiveren Wetterextremen [2]. Das betrifft nicht nur die erheblichen Niederschläge in Europa, sondern überhaupt die Häufung ungewöhnlicher Ereignisse weltweit, wie Überblicksstudien des renommierten Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung darlegen [3]. Und andererseits deuten auch physikalische und theoretische Annahmen darauf hin, dass sich der Trend zu stärkeren Überschwemmungen verstetigen könnte: Wärmere Luft kann mehr Wasser aufnehmen, das sich entsprechend intensiver über Europa ergießen kann – auch dieser Trend wird an Instituten weltweit überprüft und bestätigt [4]. Zusammen mit der Erkenntnis, dass der europäische Sommer insgesamt trockener werden soll, wird klar: Vor allem Einzelereignisse wie der aktuelle Starkregen werden sich häufen [5].


Der Mensch ist oft hilflos angesichts solcher Wetterereignisse. Bei der jüngsten Hochwasserkatastrophe schützten notdürftig errichtete Deiche die Anwohnerinnen und Anwohner vor der akuten Überschwemmung. Mittelfristig soll mit technischem Umweltschutz und der Renaturierung von Ufergebieten das Schlimmste verhindert werden. Es ist ein tolles Zeichen, dass Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet angepackt haben, um noch größere Schäden durch das Hochwasser zu vermeiden. Auch die Finanzhilfen von Bund und Ländern werden hoffentlich dazu beitragen, die Last der Betroffenen zu mindern. Es ist zu hoffen, dass jetzt auch endlich der Hochwasserschutz richtig angepackt wird. Doch gibt es langfristig für die betroffenen Regionen nur eine Perspektive wenn die Wetterextreme nicht noch weiter ausschlagen: Es ist der aktive, vorauseilende Klimaschutz, der verhindert dass immer öfter „Land unter“ herrscht.


Die schwarz-gelbe Bundesregierung tritt beim Klimaschutz allerdings auf der Stelle, mehr noch: Sie handelt fahrlässig angesichts der Tatsache, dass die Emissionen in Deutschland im vergangenen Jahr und damit gleichermaßen die Wahrscheinlichkeit für noch häufigere und heftigere Unwetter steigt. Im Mai wurde gar die symbolische 400ppm-Schwelle des CO2-Gehalts in der Atmosphäre überschritten [6]. Der Umbau hin zu erneuerbaren Energien, der emissionsintensive Energieträger vermeiden soll, wird als unbezahlbar abgetan und ausgebremst. Gleichzeitig blockieren sich Wirtschafts- und Umweltminister gegenseitig im Streit um stärkere Emissionsminderungsziele. Und Kanzlerin Merkel lässt sie gewähren, entscheidet nicht. Das ist mindestens fahrlässig! Wer Hochwasserschutz ernst nimmt und auch unsere Verantwortung für die weltweiten Folgen unserer emissionsintensiven Wirtschaftsweise anerkennt, wird um einen wirksamen Klimaschutz nicht umher kommen. Es ist Zeit, dass Deutschland endlich wieder die Rolle des Vorreiters beim Klimaschutz übernimmt. Rot-grün wird der Energie- und Klimapolitik nach der Wahl am 22. September wieder Wille und Seele zurückgeben – und so den Klimaschutz auch in Europa und weltweit wieder voranbringen.

2. Klimaplan des US-Präsidenten Barack Obama

In Zugzwang gerät die Bundesregierung auch angesichts des Klimaplans von US-Präsident Barack Obama. Vergangene Woche hat er mehrere Maßnahmen angekündigt, um die USA als zweitgrößten CO2-Emittenten zu einer klimapolitischen Führungsrolle zu verhelfen. Nicht nur wird die Umweltbehörde EPA angewiesen, neue Emissionsstandards für bestehende und neue Kraftwerke zu entwickeln. Auch der Benzinverbrauch bestimmter Lastwagen soll gesenkt werden, ebenfalls steht die Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden und Geräten auf der Agenda.

Die klimapolitischen Erwartungen an den Präsidenten sind hoch wie nie – bereits im Vorfeld seines Berlin-Besuchs hatte auch ich erneut an ihn appelliert, seine Versprechungen einzuhalten, die er schon zu Beginn der ersten Amtszeit gegeben hatte: „Mr. Obama, tear down the climate wall!“ (ab Minute 3:08)


Flash is required!


Doch Präsident Obama erkennt nun offenbar die Zeichen der Zeit – Frau Merkel und ihre Bundesregierung hingegen haben sich vom Klimaschutz längst verabschiedet. Während Obama keine klimaschädlichen Kohlekraftwerke im Ausland mehr fördern will und im eigenen Land Grenzwerte für Kohlekraftwerke ankündigt, lässt die Regierung Merkel den europäischen Emissionshandel ins Abseits taumeln - weshalb der Anteil an klimaschädlicher Kohle bei der Stromerzeugung zunimmt. Deshalb sind 2012 die Treibhausgasemissionen in Deutschland wieder angestiegen. Aber nicht nur die USA bewegen sich in Sachen Klimaschutz: Erst vergangene Woche hat China ein erstes Emissionshandelssystem eingeführt.


Es ist zu begrüßen, dass US-Präsident Obama eine Strategie zur Reduzierung von Treibhausgasen skizziert hat. Damit macht die US-Regierung einen Versuch, Jahrzehnte des Nichtstuns aufzuholen. Natürlich gibt es viele Elemente, die uns GRÜNEN nicht gefallen – zum Beispiel das Obama auf das gefährliche „fracking“ und Gas setzt und dass auch die Atomenergie eine Rolle spielen soll. Doch ist der Plan das Beste was in den letzten 20 Jahren gemacht worden ist. Vor allem kann er deshalb Erfolg haben, weil er nicht auf die Zustimmung des Kongresses angewiesen ist. Damit fällt aber auch eine bisher mögliche Entschuldigung für vergangene Versäumnisse weg: Der Präsident muss sich an seinen Worten messen lassen.


Auch wenn uns die Pläne nicht weit genug gehen, sie sind ein erster Schritt. Obama hat mit seinem Alleingang ohne Zustimmung des Kongresses auch vorgeführt, dass eine Gewinnerstrategie nicht auf Konsens in jedem Fall angewiesen sein darf. Ähnlich muss es international gemacht werden: Nicht auf den globalen Konsens warten, sondern mit fortschrittlichen Staaten Allianzen bilden und mit effektiven Klima-Clubs den Klimaschutz vorantreiben.


3. Parlamentarischer Schlagabtausch zum Abschluss der Enquete-Kommission

Einen fulminanten Abschluss erlebte die Arbeit der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ bei ihrer parlamentarischen Schlussdebatte am 6. Juni. Die Debatte verlief teilweise sehr fair und nachdenklich, teilweise aber auch hitzig – ein Zeichen dafür, dass auch nach dem Abschluss viele Fragen offen bleiben und wichtige Anliegen bisher zu kurz kamen.


Einerseits sind dafür sicherlich sachliche Gründe zu nennen: Die Kommission war angesichts der knappen Zeit und der begrenzten Ressourcen natürlich überfordert. Die Menge der Veranstaltungen, Diskussionen und Auseinandersetzungen jenseits der Enquete-Kommission (in der Partei, an Universitäten und Volkshochschulen) macht deutlich, dass wir DAS zentrale Thema des 21. Jahrhunderts bearbeitet haben: Die Neujustierung des Verhältnisses von Menschenwelt und Umwelt. Also die Beantwortung der Frage, wie unsere Wirtschaft so in die ökologischen Systeme unserer Erde eingebettet werden kann dass sie diese nicht zerstört.


Andererseits muss auch deutlich gesagt werden, dass ideologische Scheuklappen bei den schwarz-gelben Fraktionen wichtige Diskussionen und vor allem gemeinsame Schlussfolgerungen erschwert haben. So bleiben vor allem die Handlungsempfehlungen zur Entkopplung des Wirtschaftssystems vom Energie- und Ressourcenverbrauch schwach. Zusammen mit der SPD und der Linksfraktion konnten wir an dieser Stelle jedoch mit einem Sondervotum nachbessern. Auch zum Gesamtbericht haben wir Grüne ein Sondervotum erstellt das unsere Position zusammenfasst. Die SPD ist diesem Sondervotum beigetreten, hier zum nachlesen.


Insgesamt habe ich den Eindruck, dass in der Enquete-Kommission die Umrisse eines sozial-ökologischen Reformprojekts sichtbar geworden sind – und zwar nicht nur in der Opposition sondern bis weit in das so genannte „bürgerliche Lager“ hinein. Darauf können und werden wir nach der Wahl am 22. September aufbauen. In unser GRÜNES Wahlprogramm jedenfalls sind die Ergebnisse unserer Arbeit in der Enquete bereits eingeflossen. Und vor allem haben unsere Mitglieder im Mitgliederentscheid das Schlüsselprojekt 05 für ein neues Wohlstandsmaß ganz nach vorne gebracht. So ist sicher gestellt, dass der Kampf gegen den Wachstumswahn auch im Wahlkampf eine Rolle spielt – und wir werden als Teil einer Bundesregierung dafür sorgen, dass Wohlstand nicht mehr nur materiell definiert wird, sondern dass soziale und ökologische Faktoren angemessen berücksichtigt werden. Die GRÜNEN sind daher was das Thema Wachstum angeht wieder an der Spitze der Bewegung – wo wir hingehören!


Insgesamt fällt die Arbeit also gemessen an dem Auftrag der Kommission gemischt aus und die zentralen Fragen der Kommission müssen weiter debattiert werden. Ich trete dafür ein, dass im neuen Bundestag eine Enquete-Kommission zur Zukunft der sozialen Sicherungssysteme eingerichtet wird. Denn die Frage der Entkopplung unserer Sozialsysteme von der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts ist offen geblieben – und ist doch Dreh und Angelpunkt jeglicher Abkehr von der Wachstumsideologie.


Dennoch – das Glas ist halbvoll statt halbleer, und wir können einigermaßen stolz auf die Ergebnisse schauen, die trotz allem gemeinsam von allen Fraktionen getragen wurden, denn sie sind wichtige Erkenntnisse für die zukünftige Politik – das mache ich auch in meiner Rede deutlich, die Sie hier noch einmal ansehen können:


An diesen Erkenntnissen muss sich alle Politik künftig messen lassen – und sie können den VertreterInnen aller Parteien im kommenden Wahlkampf entgegengehalten werden, denn das haben alle unterschrieben:


  • Wachstum ist kein Ziel an sich, sondern nur Folge von politischem und wirtschaftlichem Handeln.
  • Wir brauchen eine neue Wohlstandsmessung, die das BIP relativiert und die sozialen und ökologischen Dimensionen gleichberechtigt berücksichtigt.
  • Die globalen und regionalen Umweltgrenzen müssen eingehalten werden, allen voran beim Stickstoffeintrag, den Treibhausgasemissionen und bei der Biodiversität, denn hier sind die Kapazitätsgrenzen bereits überschritten.
  • Eine absolute Reduktion des globalen Ressourcenverbrauchs ist notwendig, eine relative Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch ist nicht ausreichend.
  • Technische Effizienzmaßnahmen alleine reichen aufgrund der vielfältigen Rückschlagseffekte (Rebound) nicht aus, um den Umweltverbrauch zu senken.
  • Effizienzmaßnahmen müssen durch eine Umstellung auf 100% Erneuerbare und eine konsequente Kreislaufwirtschaft sowie ein Umdenken in den Lebensstilen ergänzt werden (Dreiklang aus Effizienz, Konsistenz, Suffizienz). Dafür braucht es politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rahmenbedingungen, innerhalb deren technologische Effizienzverbesserungen erst wirksam werden können.
  • Lebensstile und Konsumverhalten werden nicht nur durch eigene Präferenzen und soziale Strukturen geprägt, sondern auch durch staatliche Rahmenbedingungen und das Produktangebot.
  • Vor allem im Bereich Ernährung, Mobilität und Wohnen sind durch den Staat geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen: es müssen Hindernisse abgebaut und falsche Anreize beseitigt werden, um nachhaltigeres Verhalten zu ermöglichen.
  • Genossenschaften sind wichtige Unternehmensformen, die gestärkt und gefördert werden sollten.
  • Die aktuellen Finanzreformen greifen zu kurz, eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte ist notwendig. Dies umfasst unter anderem strengere Eigenkapitalanforderungen, eine wirkungsvollere Regulierung des Schattenbankensystems, eine Reform der Vergütungssysteme und eine kompetente Europäische Bankenaufsicht.
  • Finanzpolitik ist nur zukunftsfähig, wenn über den Konjunkturzyklus ausgeglichene Haushalte, ein niedriger Schuldenstand sowie die Finanzierung erforderlicher öffentlicher Ausgaben dauerhaft erreicht werden.


4. Grüner Mitgliederentscheid: Toller Erfolg für den Grünen Wohlstandskompass gegen den Wachstumswahn

Zuerst die Spitzenkandidaten, dann die zentralen Inhalte künftiger Regierungsarbeit: Basisdemokratisch und transparent haben wir Grünen den Weg in den Wahlkampf bereitet. Aus 58 Schlüsselprojekten in den Bereichen Ökologie, Gerechtigkeit und moderne Gesellschaft wurden neun Vorhaben gewählt, die wir sofort anpacken und umsetzen wollen, wenn wir nach der Bundestagswahl in einer rot-grünen Koalition das Land wieder nach vorne bringen.


Nach der viel beachteten Urwahl war auch der grüne Mitgliederentscheid im Juni ein großer Erfolg – einerseits für die Demokratie: Die intensiven und lebhaften Debatten auf unserem Bundesparteitag haben gezeigt, wie leidenschaftlich sich unsere Mitglieder einsetzen, wenn es darum geht, einen echten Neustart für die unter Schwarz-Gelb verschlafene Bundespolitik zu formulieren. Die rund 2.600 Änderungsanträge sind Zeichen lebendiger Demokratie.


Einen Erfolg kann auch das Schlüsselprojekt 05 verbuchen, das mir besonders am Herzen liegt und jetzt zu einem der neun zentralen Vorhaben gewählt wurde: Wir werden uns stark machen für die Schaffung eines neuen Wohlstandsindikators – dem grünen Wohlstandskompass – der dem Wachstumswahn entgegen wirken soll. Es geht darum, wie wir zukünftig Wohlstand schaffen ohne ständiges exponentielles Wirtschaftswachstum und unter den Bedingungen der anhaltenden ökologischen Krise. Dafür erfordert es einen sozial-ökologischen Wandel unserer Art zu Wirtschaften und zu Leben. Dieser gesellschaftliche Wandel braucht einen richtungssicheren Anzeiger, den Wohlstandskompass, damit politische Entscheider sowie Bürger und Bürgerinnen sich über den Kurs verständigen können.


Viel zu lange galt starkes Wirtschaftswachstum als Mantra einer modernen Gesellschaft; viele Teilbereiche des täglichen Lebens wurden der Prämisse des Wettbewerbs untergeordnet. Ausgeblendet wurde dabei allerdings, dass ein verengter Blick auf das Wirtschaftswachstum zu enormen Verwerfungen führen kann und als vermeintliche Komplexitätsreduktion der Wirklichkeit nicht gerecht wird.


Beispielsweise wurde die Liberalisierung des Kapitalverkehrs und die Entbettung der Ökonomie beschleunigt, um höhere Wachstumsraten zu erreichen – wie sich gezeigt hat führt dies zu verheerenden Resultaten, wenn das fragile System durch Bankenkrisen und marode Staatsfinanzen ins Wanken gerät. Hinzu kommen die ökologischen Krisen, die sich in den letzten Jahrzehnten massiv verschärft haben und uns die Grenzen unseres Planeten vor Augen führen. Und letztlich stehen soziale Aspekte weiterhin zur Debatte: Zwar steht außer Frage, dass die wirtschaftliche Entwicklung der letzten beiden Jahrhunderte gesellschaftlichen Wohlstand und eine gesteigerte Lebensqualität in die Breite getragen hat, doch der Zusammenhang zwischen Wachstum und Wohlstandssteigerung löst sich zunehmend auf: Nicht nur in Deutschland geht die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander, auch weltweit erleben wir soziale Krisen in Form von Hungersnot und Armut – das Wirtschaftswachstum kommt offensichtlich nicht bei allen Menschen gleichermaßen an.


Diese multiplen Krisen zeigen deutlich, dass eine Umorientierung wirtschaftlichen Handelns durch eine sozial-ökologische Transformation nötig ist – und zudem unausweichlich. Noch haben wir die Chance, diese Modernisierung selbst zu steuern, also ein „change by design“ einzuleiten. Wenn wir diese Möglichkeit nicht nutzen, werden wir bald die Grenzen des Wachstums sowie die Grenzen des Planeten insgesamt erreichen – und somit zum „change by desaster“ gezwungen.


Drei Jahre lang habe ich mich mit meinen grünen Mitstreitern in der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ dafür eingesetzt, den Weg in eine sozial-ökologische Transformation aufzuzeigen. Diesen Weg können wir mit dem grünen Wohlstandskompass finden, den wir bei unserer Arbeit entwickelt haben: Dem Bruttoinlandsprodukt müssen deshalb weitere Indikatoren zur Seite gestellt werden – und zwar der ökologische Fußabdruck, die Einkommensverteilung und die Lebenszufriedenheit. Deshalb brauchen wir in der Praxis eine neue Wohlstandsberichterstattung, und zwar einen neuen „Jahreswohlstandsbericht“, der nicht nur das BIP pro Kopf jährlich thematisiert, sondern das Ganze von Wirtschaft und Gesellschaft in den Blick nimmt.


Eine moderne, gerechte und ökologische Gesellschaft kann nur schaffen, wer sich von ökonomischen Kennziffern löst, den Blick in die Breite wagt und eine aktive Diskussion zwischen Bevölkerung, Volksvertretern und Regierung sucht. An dieser Stelle setzt der Kompass als repräsentatives und kommunizierbares Indikatorensystem an, das die zentralen Gradmesser der Gesellschaft in die Debatte trägt. Demokratische und transparente Strukturen wollen wir nicht nur innerhalb der Partei schaffen, sondern in das politische Tagesgeschäft tragen. Nur so können wir mehr Demokratie im Sinne von mehr Partizipationsmöglichkeiten erreichen und eine Debatte über die Zukunft unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens gestalten, die ihren Namen verdient.


Die Grünen sind übrigens die einzige Partei, die die Ergebnisse der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ konsequent in ihr Wahlprogramm aufgenommen hat. Es ist gut, dass wir jetzt noch einen Schritt weiter gegangen sind und die Ergebnisse als Schlüsselprojekt in den Fokus unserer Arbeit stellen.


Mehr lesen: Dr. Hermann Ott im Interview mit der Redaktion des Jahrbuchs Nachhaltige Ökonomie


5. Wuppertal: FAG Schaeffler hat den Ergänzungstarifvertrag gekündigt – der Anfang vom Ende?

Bei FAG Schaeffler liefen die Geschäfte mit Kugellagern für Windräder gut. Sehr gut. Doch hat sich der Konzern vor ein paar Jahren bei der geplanten Übernahme von Continental überhoben und laboriert immer noch an den finanziellen Folgen. Rationalisiert gnadenlos. Nun hat FAG Schaeffler den Ergänzungstarifvertrag mit Wirkung zum 31.12.2013 gekündigt, der zur Behebung der Krise von 2007/2008 geschlossen worden war. 750 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, der Hälfte der gesamten Belegschaft, droht nun der Arbeitsplatzverlust. Beschäftigten, denen in diesem Tarifergänzungsvertrag Arbeitsplatzgarantien bis 2016 zugesagt worden waren – und die im Gegenzug wöchentlich 4 Stunden unentgeltlich für das Unternehmen gearbeitet haben. Die Verlagerung erfolgt angeblich aufgrund einer kriselnden Windenergie-Sparte und der damit verbundenen schlechten Auftragslage. Diese Erklärung wurde bereits durch das Bundesumweltministerium in der Antwort auf meine Anfrage angezweifelt. Nein, es geht schlicht um die Verlagerung weiter Teile der Produktion von Wuppertal nach Rumänien. Ich habe die Ergebnisse meiner Recherchen mit dem Betriebsrat von Schaeffler und der IG Metall erörtert und war Teil einer Solidaritätsveranstaltung am 14. Juni auf dem Laurentiusplatz in Wuppertal.


Es muss wirklich so deutlich gesagt werden: Ich finde dieses Heuschrecken-Vorgehen skandalös! Denn die Windbranche erlebt einen wirtschaftlichen Boom. Aktuelle Studien belegen, dass die Windenergie in Deutschland derzeit auf Rekordniveau wächst und im nächsten Jahr einen Höchststand erreichen wird. Weltweit wird ein Anstieg der Neuinstallationen von 10% verzeichnet. Bei Schaeffler wurde jahrelang Profit auf Kosten der beschäftigten gemacht, und nun zieht die Karawane weiter, um vermeintlich noch höhere Profite zu erzielen. In unserem Grundgesetz steht: Eigentum verpflichtet. Es sind 750 Menschen mit ihren Familien, denen plötzlich der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Ich werde weiterhin für eine Rücknahme dieser Unternehmensverlagerung im Bund, im Land und in Wuppertal kämpfen!


Im Vorfeld zur NRW LAG Industriepolitik hatte ich mich mit Birgit Beisheim getroffen, der industriepolitischen Sprecherin in der GRÜNEN Landtagsfraktion NRW. Wir waren uns einig: Das Unternehmen darf sich nicht einfach so aus der Verantwortung ziehen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die kalte Schulter zeigen. Solidarität ist keine Einbahnstraße sondern muss auch von der Unternehmensleitung beachtet und angewandt werden. Wir setzen daher darauf, dass die angekündigten Gespräche der rot-grünen Landesregierung mit dem Firmenvorstand fruchten. Die grüne Landtagsfraktion wird jede Initiative unterstützen, die dazu geeignet ist, die angekündigte Entlassung am Standort Wuppertal zu verhindern. Ich selber habe den Oberbürgermeister mehrmals dazu aufgefordert, Vertreter aller politischen Ebenen (Stadtrat, Land, Bund, EU) an einen Tisch zu bringen – bisher umsonst. Wenn er es nicht tut, werde ich es selber machen. Wir können dieses skandalöse Vorhaben von Schaeffler noch stoppen, wenn alle politischen Kräfte in Wuppertal an einem Strang ziehen.


6. Termine

Meine aktuellen Termine können Sie meiner Terminseite entnehmen.




Weiterführende Links:

Newsletter per E-Mail:

Sie möchten den Newsletter oder die Pressemitteilungen per E-Mail erhalten? Dann melden Sie sich hier an!